Im Frühsommer 2005 hat Walter Riemer mit seinem Hammerflügel Bachs "Kunst der Fuge" als ORF-CD aufgenommen. Dies war das Resultat langjähriger Beschäftigung mit diesem singulären Werk

Musik des 18. und des frühen 19. Jahrhunderts ist noch sehr stark geprägt von einer damals jedem guten "Musikus" wohlbekannten Aufführungspraxis, die insbesondere Artikulation, Agogik und Ornamentik bestimmte. Dieses Wissen ging im 19. Jahrhundert weitgehend verloren und wurde besonders in den letzten Jahrzehnten von einigen verdienstvollen Autoren und Musikern (ganz besonders auch Nikolaus Harnoncourt) wieder erarbeitet.

In Walter Riemers "Kunst der Fuge"-Interpretation wurde versucht, diesen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Das Ergebnis erschien ihm so gut und so interessant, dass er begann, die gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere Klavierwerke Bachs (und nicht nur Bachs!) zu übertragen: so nimmt etwa auch das "Wohltemperierte Klavier" ganz neue Gestalt an, und dies zu zeigen, war auch eine Grundidee des Konzerts am 22. November 2005 im Salvator-Saal in Wien (http://niederfellabrunn.at/Arch/KKNF/OLD2005.HTM#BachSt). Aber auch Haydn, Mozart, Beethoven und sogar Schubert tun diese Erkenntnisse gut; auch dies wurde im erwähnten Konzert demonstriert.

Inzwischen hat sich noch ein weiterer Aspekt ergeben: Über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte haben Musikwissenschaft und Autoren beklagt, dass Bach seine "Temperatur", also die Methode, seine "Claviere" (anders als es heute beim modernen Klavier üblich ist) ungleichmäßig temperiert zu stimmen (es sind also nicht alle Quinten gleich groß), nicht schriftlich dokumentiert habe und sie daher in Vergessenheit geriet.

Dr. Bradley Lehman (Cembalist, Absolvent der University of Michigan) hat, noch weit über die 1999 publizierte Arbeit von Dr. Andreas Sparschuh (Universität Heidelberg) hinausgehend und zu anderen Ergebnissen gelangend, bis ins Detail diese verloren geglaubte Anweisung erforscht und dargestellt (http://www.larips.com/). Sie wurde dort entdeckt, wo sie logischerweise hingehört, nämlich am Titelblatt der Handschrift "Wohltemperiertes Klavier, Band 1". Seine diesbezügliche Arbeit wurde in zwei Teilen im Februar und im Mai 2005 publiziert, leider zu spät für meine CD "Kunst der Fuge", die noch mit der (auch nicht schlechten) Stimmung von Kellner eingespielt wurde. Die "Kringelreihe" ganz oben ist nicht nur ein Ornament, sondern die präzise Stimmanweisung, wobei Schleifen ohne inneres "Kringel" reine Quinten sind, solche mit einem Kringel etwas engere und solche mit zweien noch engere. Das Ergebnis wurde am 22. November 2005 im Konzert vorgeführt (http://niederfellabrunn.at/Arch/KKNF/OLD2005.HTM#BachSt).

Nebenstehend ist das "Ornament" um 180° gedreht wiedergegeben. So ist es für einen Rechtshänder leichter zu zeichnen gewesen (vielleicht hat Bach einfach das Blatt umgedreht?).

So ist die Stimmreihenfolge leichter zu lesen. J.S. Bach war (im Gegensatz zu C.P.E. Bach) Rechtshänder.

Eine praxisorientierte Stimm-Anweisung finden Sie hier.

Die folgende Tabelle stammt von Wolfgang Wiese, Stimmtabelle